Fleisch als weitere Tragödie der Warenform

Fleisch ist eine kapitalistisch produzierte Ware und diese Warenförmigkeit verursacht zahlreiche Krisenphänomene, z. B. Stickstoffeinträge in die Gewässer, monokultureller Anbau von Futterpflanzen (Mais, Soja), qualvolle Lebensformen für die Tiere in den Ställen und die Ausbeutung der Arbeiter:innen in der Schlachtung und Fleischverarbeitung. Für die industrielle Fleischproduktion ist ein entwickelter Produktionsapparat erforderlich und dieser umfasst alle politischen, bürokratischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Elemente der sog. Wertschöpfungskette, z. B. staatliche Tierversuchsanstalten zur Verbesserung der Tierzucht, Tierhaltungsanlagen, Schlachthöfe, Transportinfrastrukturen, staatliches Tierproduktionsrecht (Futtermittelrecht, Tierarzneimittelrecht, Tierseuchenrecht, Tierzuchtrecht).

Agrarwirtschaftliche Fleischproduktion und der entwickelte Fleischproduktionsapparat sind ein typisches Phänomen der verallgemeinerten Warenproduktion und zugleich ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung staatlich-politischer Regulierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse für die kontinuierliche Aneignung sog. „natürlicher“ Ressourcen. Letztlich kann für die Fleischproduktion argumentiert werden, dass erst die staatlich-politische Schaffung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Expansion der globalen Fleischproduktion ermöglichte. So stellte die Humane Society International in ihrer Studie International Finance Institutions, Export Credit Agencies and Farm Animal Welfare dar, dass zwischenstaatliche Finanzierungsorganisationen, z. B. Unterorganisationen der Weltbank, und nationalstaatliche Finanzierungsintrumente, z. B. Exportkreditgarantien durch Exportkreditagenturen (ECA), zur massiven Vergrößerung der Tierhaltungsanlagen führen. Rettet den Regenwald verweist darauf, dass „internationale Finanzinstitutionen (IFIs), bei denen die EU-Staaten Mitglieder sind, stellen Finanzierungskapital für diese Anlagen bereit, auch wenn die Tierhaltung nicht einmal den EU-Normen entspricht. Beispiele für Internationale Finanzinstitutionen sind die International Finance Corporation (IFC, Teil der Weltbankgruppe) oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD)“ (Rettet den Regenwald 2016).

Die mit der Fleischproduktion verbundenen Krisenphänomene haben ihren Ursprung verallgemeinerten Warenproduktion zum Zweck der Kapitalakkumulation. Durch die enge Verbindung der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten (Konkurrenz, Kostenreduzierungszwang, Wachstum, Profitabilität) der kapitalistischen Produktionsweise mit der staatlich-politischen Steuerung werden sozio-ökologische Systeme zertört.

Dabei sollen die sozialen Kosten der Verwertung menschlicher Arbeitskraft in der agrarwirtschaftlichen Fleischproduktion nicht unbenannt bleiben, die etwa durch die Arbeitsbedingungen in den Schlachtbetrieben entstehen.

Ausgehend von dieser theoretischen Fassung der Fleischproduktion als kontinuierliche Warenproduktion, welche dem Ziel der Kapitalakkumulation dient, werden zwischenstaatliche, nationalstaatliche und subnationale politisch-administrative Politikprozesse als Weichenstellungen für diese „Verdinglichung“ tierischer Lebewesen erfasst. Entsprechend gilt, dass etwa die globale Schweinefleischproduktion im Umfang von etwa 118,8 Millionen Tonnen Schlachtgewicht in 2015 (vgl. Deutscher Bauernverband 2016: Tierische Erzeugung) ohne staatlich-politische Steuerung und Förderung undenkbar ist. So kommt der staatlich-politischen Förderung des Baus von Tierhaltungsanlagen im Rahmen der Agrarinvestitionsförderprogramme (AfP) aus den Finanzmitteln für die „ländliche Entwicklung“ (Teil der europäischen und nationalstaatlichen Agrarpolitik) eine große Bedeutung zu.

Rettet den Regenwald führt zahlreiche Beispiele an, welche die Bedeutung der staatlich-politischen Anschubfinanzierung für den Ausbau der Tierhaltungsanlagen verdeutlichen. So „errichtete Miratorg, bereits Russlands größter Schweinefleischerzeuger, von 2011 bis 2015 eine große Hühnermastanlage im Westen Russlands. Die Anlage umfasst Elterntiere, eine Brüterei für 75 Mio. Eier und 7 Mastanlagen, in denen pro Jahr mehr als 50 Mio. Hühner in mehrstöckigen Käfigbatterien auf Laufbändern gehalten werden. Die Laufbänder transportieren den Kot ab und befördern schließlich auch die Hühner zu den Schlachttransportern. Für dieses aus den Niederlanden gelieferte System übernahm die niederländische ECA eine Exportkreditgarantie in Höhe von 7,4 Mio. Euro. Im November 2015 erhielt Miratorg die Bewilligung, Hühnerfleisch in die Europäische Union zu liefern“ (Rettet den Regenwald 2016). Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der öffentlichen Finanzierung von Stallbauprojekten ist nach Rettet den Regenwald das Unternehmen MHP (Myronivsky Hliboproduct). Dieses „strebt an, der größte Hühnerfleischproduzent Europas zu werden und ist ein bevorzugtes Ziel von Kapitalvergaben durch IFIs und ECAs. Das Unternehmen, das seinen Sitz in Luxemburg und seine Hühnermastanlagen in der Ukraine hat, erhielt seit 2003 mehr als 770 Mio. US-Dollar von IFIs (IFC: > 500 Mio., EBRD: 185 Mio., Europäische Investitionsbank (EIB): 85 Mio.). ECAs (v.a. die Niederlande) übernahmen Bürgschaften über mehr als USD 100 Mio. Dieses Kapital ermöglichte es MHP, zusätzlich zu den bestehenden Kapazitäten eine Megafarm mit 111,7 Mio. Masthühnern bei Vinnytsia zu errichten. Ab 2016 soll die Anlagengröße am selben Standort trotz Bürgerprotesten noch verdoppelt werden. MHP lieferte von Juni 2014 bis September 2015 insgesamt 36.150 Tonnen Geflügelfleisch an EU-Staaten, darunter die Niederlande, Deutschland, Belgien und Italien“ (Rettet den Regenwald 2016).

Neben solchen direkt kapazitätssteigernden und betriebswirtschaftlich wirksamen staatlich-politischen Finanzierungsmaßnahmen wirken staatlich finanzierte Innovationsprogramme, z. B. im Rahmen der öffentlichprivaten Kooperation im Bereich Tierzuchtverbesserungen, auf eine Expansion der Fleischproduktion und Effizienzsteigerung hin. So forschen beispielsweise in Bayern Wissenschaftlerinnen an den Standorten: „LfL-Institut für Tierzucht in Grub, dem TUM-Lehrstuhl für Tierzucht in Weihenstephan sowie den LMU-Lehrstühlen für Tierzucht bzw. Molekulare Tierzucht in München“ (Putz 2013: 9) hinsichtlich der Ressourceneffizienzsteigerung und der Verbesserung der Tierzucht in der agrarwirtschaftlichen Fleischproduktion. In solchen Landwirtschaftlichen Wissens- und Informationssystemen werden die technologischen Impulse für die Produktivkraftentwicklungen des agrarwirtschaftlichen Fleischproduktionsapparates gesetzt. Derartige öffentlich-private Partnerschaften, hier übernimmt der nationale Wettbewerbsstaat die Rolle als „ideeller Gesamtkapitalist“ mit dem Ziel der Steigerung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit durch Produktivkraftentwicklung, steigern die Kapazitäten der Agrarwirtschaft zur Transformation von tierischen Lebewesen in Waren als Akkumulationsbedingungen. Zu den Beschäftigungsbedingungen in der Fleischindustrie, als ein Aspekt der sozioökologischen Krisenhaftigkeit der Warenförmigkeit des Fleisches, wird im Text Migration, refugees and labour festgestellt, dass „in Germany, too, the downward segmentation of the labour market through the specific combination of technical development and migrant cheap labour enabled many young German workers to escape sinking wage levels by moving into more qualified jobs. One example is the regional boom in the Oldenburger part of the Munsterland in western Germany. Although an estimated 25,000 jobs were lost in the meat industry up until the year 2005, during the same period the total figure of livestock slaughter has doubled and a ‘cluster’ of food processing and machine engineering industries was established. According to the estimates of the trade union NGG [food and hospitality] only 10 per cent of all workers employed in the meat industry have permanent contracts, if one includes the unofficial butcher-teams, industrial cleaners and packaging workers, who are nor- 8 mally excluded from the category ‘employees in meat industry’. ‘Officially’ a quarter of all workers are employed as migrant contract workers of foreign companies – nearly seven times as many as in 2011” (libcom.org 2016). Trotz eines Verlustes von ca. 25.000 Jobs in der Fleischindustrie im Oldenburger Land konnten im selben Zeitraum die geschlachteten Fleischmengen dank technischer Produktionsverbesserungen verdoppelt werden und es entstand ein „Netzwerk von Produzenten, Zulieferern, Forschungseinrichtungen (z. B. Hochschulen), Dienstleistern (z. B. Design- und Ingenieurbüros), Handwerkern und verbundenen Institutionen (z. B. Handelskammern) mit einer gewissen regionalen Nähe zueinander“ (Wikipedia: Cluster) für die Nahrungsmittelverarbeitung und die Maschinenindustrie. Das Beispiel Oldenburger Land verdeutlicht die Bedeutung der engen Kooperation zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen, staatlichen Bürokratien und (staatlichen) Forschungseinrichtungen für die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Produktionsapparates. Die beschriebene Bedeutung des Zusammenwirkens staatlicher und privatwirtschaftlicher Akteurinnen für die Ausweitung der Produktion trifft auch auf die globale Milchproduktion zu. Eckehard Niemann beschreibt in seinem Artikel Globaler Gigantismus – Über die weltweit zunehmende Verlagerung der Milchviehhaltung in Agrarfabriken, dass gegenwärtig die meiste Milch auf der Welt noch in bäuerlichen Betrieben erzeugt werde. Allerdings würde es in einer gegenläufigen Entwicklung zu einem weltweiten Bau von Mega-Milchviehfarmen kommen. Niemann verweist darauf, dass der größte Milchviehbetrieb der Niederlande 2.000 Kühe halte (Niemann 2015: 37). Dagegen gebe es in Saudi-Arabien Milchviehfarmen mit 19.000 (ANada-Dairy) und 32.000 (Al Safi) Kühen. Auch in den USA gebe es eine Milchviehfarm mit 32.000 Kühen (Fair Oaks Farm in Indiana). In China betreibe der neuseeländische Molkereikonzern Fonterra eine Farm mit 15.000 Kühen in fünf Teilbetrieben (Niemann 2015: 38). Die Abhängigkeit der Fleischproduktionsapparate, das gilt auch für die Milchproduktion, von Regionen und Staaten aus denen die Rohstoffe (Futtermittel, etc.) für die Ausweitung der Fleischproduktion geliefert werden, ist eine weitere Krisendimension der Warenform des Fleisches. Das Beispiel Fleischproduktion, als zentraler Bestandteil der globalen Nahrungsproduktion, verdeutlicht die enge Verbindung zwischen staatlich-politischer Regulierung, hierzu zählen z. B. (fehlende) Vorgaben für den Platz den einzelne Tiere in den Ställen haben dürfen, und Förderung der Produktionsausweitung einerseits und der profitorientierten, betriebswirtschaftlichen Organisation der Ausbeutung von tierischen und menschlichen Lebewesen und ökologischen Systemen andererseits. Deutlich wird an diesem Beispiel auch der Zusammenhang zwischen Staatlichkeit, Zentralismus und Wachstum. Staatliche Bürokratien und politische Entscheidungsträgerinnen fördern die Ansiedlung von Industrien und Produktionsinfrastrukturen an zentralen Orten. Neben einer Konzentration der Produktionsmittel in den Händen weniger Investoren werden dadurch auch die Produktionsstandorte räumlich konzentriert. Dadurch treten ökologische Krisen auf, welche aus der staatlich-politischen und privatwirtschaftlichen Konzentration und Zentralisation der Produktion folgen. Diese Konzentrationsprozesse des Kapitals erzeugen bei örtlich Betroffenen immer häufiger Widerstand.

Quellen
Deutscher Bauernverband (2016), Situationsbericht 2015/2016, abrufbar unter: http://www.bauernverband.de/64-tierische-erzeugung-664087

Humane Society International (2016), International Finance Institutions, Export Credit Agencies and Farm Animal Welfare, abrufbar unter: http://www.hsi.org/assets/pdfs/ifi-report.pdf

Libcom.org (2016), Migration, refugees and labour, abrufbar unter: http://libcom.org/blog/migration-refugees-labour-21022016

Longo, Stefano B./ Clausen, Rebecca/ Clark, Brett (2015), The Tragedy of the Commodity – Oceans, Fisheries and Aquaculture, Rutgers University Press: New Brunswick, New Jersey, and London

Niemann, Eckehard (2015), Globaler Gigantismus – Über die weltweit zunehmende Verlagerung der Milchviehhaltung in Agrarfabriken, S. 37-38, in: Der kritische Agrarbericht 2015, Schwerpunkt: Agrarindustrie und Bäuerlichkeit, Herausgeber AgrarBündnis e.V.

Putz, M. (2013), 95 Jahre staatliche Tierzuchtforschung in Bayern, in: Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Tiere züchten − High Tech und Verantwortung, Tierzuchtsymposium 2013, abrufbar unter: http://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/publikationen/daten/schriftenreihe/056689_schriftenreihe_10_2013.pdf

Rettet den Regenwald (2016), Tierfabriken stoppen, abrufbar unter: https://www.regenwald.org/aktion/1048/bitte-unterschreiben-tierfabrikstoppen?mtu=146689556&t=1820#more

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